Der Schönauer Tag

Der Schönauer Tag

Der Schönauer Tag

Mehr als 150 Jahre sind es her, seit der 25. August 1855 als Schönauer Tag in die Heimatgeschichte einging. Die jüngeren Generationen wissen mit diesem Datum und dem damaligen Geschehen wenig anzufangen. Fragt man die Älteren, sie können sich noch daran erinnern, was ihnen von ihren Eltern und Großeltern (die teilweise den Tag selbst erlebt hatten) erzählt wurde. Bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges wurde nach altem Recht dem „Schönauer Tag“ mit Gottesdienst, Schulfreizeit und Sonntagsstille gedacht.
Was war geschehen? Kurze Zeit nach dem Ereignis wurde ein Schreiben, detaillierte Angaben, Auflistungen und Protokolle verfasst. Das Schreiben zeigt in seinen Anfängen das gesamte Ausmaß des Unwetters, einer Windhose, die fast alle Gebäude stark beschädigte und teilweise zerstörte:

„Aus dem gewitterschwangeren Himmel löste sich eine lichtgelbe Wolke, sank zur Erde nieder, bildete sich zu einer wirbelnden Luftsäule und fuhr mit furchtbarem Getöse in rasender Eile durch Feld, Dorf und anliegende Waldung. Nach kaum zwei Minuten sehen die zitternden Einwohner ein Schreckensbild der Verwüstung; ihre Häuser und Scheunen, bis auf wenige entdacht, mit ausgeweichten Wänden, zerbrochenen Fenstern, zerrissenem Gebälk, oder gänzlich zerstört; ihre Felder, vorher voll Fruchtgaben, längs dem Laufe des Wirbels kahl; ihre Gärten mit entwurzelten Bäumen; ihre auf Haus- und Scheuerböden aufbewahrte Habe, Früchte, Fourage (Viehfutter), Flachs, Wäsche fortgeführt und vertilgt. Ungehindert ergossen sich die Wasserströme eines am Abend folgenden Gewitters in die unbedeckten Häuser und war diesem preisgegeben, soweit von der Wuth des Sturmes verschont geblieben ……. „

Der damalige Bürgermeister Heinrich Scheibeler (1849-1856) hatte bereits am Abend des Unwettertages einen Schadensbericht aufgestellt und diesen an das Kurfürstliche Landratsamt nach Ziegenhain weitergeleitet. Gleichzeitig erstattete er Anzeige beim Justizamt in Treysa und bei der Gendarmerie-Sektion in Jesberg. Er bat dabei um „sofortige Einsicht“.

Der erste Besichtigungstermin fand schon am 27. August statt. In einem ersten Protokoll erfasste man zunächst 30 Einzelobjekte und beschrieb die Schäden in allen Einzelheiten. Im nachfolgenden Bericht heißt es u.a.:
„Die Zerstörung, welche in der Gemeinde stattgefunden hat, ist so schrecklich, dass solche mit Worten kaum zu schildern ist.“ „Da in Dorf und Feld unerhörte Verwüstungen entstanden waren“, richtete die Regierung an alle Städte und Gemeinden in sämtlichen Landesteilen einen Aufruf zur Unterstützung der Geschädigten. Hierbei wurde auch erwähnt, dass die sehr arme Gemeinde Schönau nur 47 Wohnhäuser zählte, von denen 45 beschädigt waren. Der Gesamtschaden wurde auf 5 – 6000 Thaler beziffert.

Der Spendenaufruf war seinerzeit in allen Tageszeitungen des Landes erschienen. Alle amtlichen Dienststellen erhielten den Hinweis, dass zu dem bezeichneten Zweck Sammlungen veranstaltet werden durften. Der Erlös musste an das Landratsamt in Ziegenhain abgegeben werden. Die Generalpostinspektion Kassel wurde angewiesen, für die Dauer von drei Monaten, für alle als milde Gaben bezeichneten Postsendungen Portofreiheit zu gewähren. Der Landrat des Kreises Ziegenhain gab den Ortsvorständen die Empfehlung, bei der Durchführung der Sammlungen auch die Pfarrer und Kirchenältesten zur Mitwirkung anzusprechen.

Die Spendenbereitschaft der hessischen Bevölkerung war überaus groß. Von der Weser, über ganz Nord- und Osthessen bis zum Main und aus allen Gemeinden des Ziegenhainer Landkreises gingen Geldspenden ein. Selbst die Nachbargemeinde Moischeid führte eine Sammlung durch, obwohl nach Angabe des Bürgermeisters das Unwetter auch dort an den Feldfrüchten viel Schaden angerichtet hatte. Nachdem die Ansprüche der Bedürftigen schriftlich begründet waren, wurden ab Dezember 1855 die ersten Teilzahlungen von ca. 4300 Thaler Spendengelder ausgezahlt.

Zur Verteilung der Unterstützungsgelder war ein besonderes „Comitee“ gebildet worden. Ihm gehörten zuletzt an:Landrat Groß, ZiegenhainOberberginspektor von Hagen, Schönstein
Landbaumeister Selig, Ziegenhain
Pfarrer Handwerker, Sebbeterode
Justizbeamter Rüppel, Treysa
Amtsactuator Kulenkamp Treysa
Bürgermeister Johannes Knöppel, Schönau (neu gewählt im Januar 1856)

Oberberginspektor von Hagen kam später zu dem Komitee, nachdem er eine sehr detaillierte Aufstellung über den Schaden angefertigt hatte.

Die Auszahlungen an die Anspruchsberechtigten waren teilweise mit erheblichen Unstimmigkeiten verbunden und verzögerten sich bis hin zum Sommer 1856. Die Differenzen wurden meistens durch versäumte rechtzeitige Anmeldung von weiterem erlittenen Schaden ausgelöst, aber auch durch Missgunst bei der anteiligen Bewertung des Schadensumfangs. Allerdings erwartete die Behörde: „
Die Schönauer sollen ihre Angaben so machen, wie sie es beschwören können.“ Sehr negativ fiel hier der örtliche Schullehrer Christoph Pfeil auf. Dieser ging soweit, dass er seine eigene Schadensmeldung unverschämt überhöht vorlegte. Später überredete er noch drei Schönauer Bürger zu Aussagen, die dann in einem Beschwerdeprozess gegen das Komitee als unfreiwillige Zeugen auftreten mussten. Die Behauptungen des Lehrers wurden schließlich als Anmaßung, Verleumdung und Beamtenbeleidigung angesehen. In dem nachfolgenden Gerichtsverfahren erhielt Lehrer Pfeil eine empfindliche Geldstrafe. Damit im Zusammenhang dürfte auch seine Amtsenthebung stehen. 1859 wird er als „gewesener Lehrer“ bezeichnet.

Es galt als erwiesen, dass die Verteilung der Beihilfemittel an die Unwetter-geschädigten stets nach der Verhältnismäßigkeit des Schadens und in Ausnahme nur bei Fällen großer Bedürftigkeit vorgenommen wurde. Nach Abrechnung der Gesamtmaßnahme blieb ein Restspendengeld von 40 Taler, 9 Silbergroschen und 6 Pfennig übrig. Auf Antrag der Gemeinde durfte dieser Betrag zur Reparatur an der Kirchenorgel verwendet werden.

Nachfolgend sind in Kurzfassung die Schäden des Unwetters in Einzelheiten aufgeführt, wie sie im Protokoll vermerkt wurden. Die Zahlen in Klammer hinter den jeweiligen Namen der Geschädigten lassen im Anschluss an die Abhandlung erkennen, um welches Haus und welche Einwohner es sich zur heutigen Zeit handelt.

1 ½ Christoph Pfeil, Lehrer, Schulhaus (1)
Das Schulhaus ist stark beschädigt, es fehlen sämtliche Ziegel des Daches, Fenster fast gänzlich demoliert. Ställe umgeworfen, ein Schwein umgekommen, Wäsche auf dem Boden fortgeweht.

1 Heinrich Dietrich (2)
Das ganze Dachwerk zerstört, Heu und Wäsche vom Boden fortgerissen.

1 ¼ Reitze Dietrich (3)
Mit der Wohnung des Reitze Dietrich verhält es sich ebenso wie vor, dem Giebel droht Einsturz.

32 Johannes Siebert (4)
Die Stallung ist ganz umgerissen, beim Einsturz ist ein Fahrochse getötet worden. Die Scheune ist ohne Dach, das Heu durch Gewitterregen durchnässt.

33 Johannes Schier und Johannes Schröder (5)
Das Dachwerk der Wohnung ist zerstört, Fußbodenbalken sind in die untere Etage gebrochen.

31 Johannes Knöppel (6)
Am Dach der Scheune und des Schweinestalls fehlen die Ziegel.

2 Heinrich Kohl I (7)
Die Ziegel vom Wohnhaus und Nebengebäude sind abgedeckt.

30 Valentin Siebert (8)
Dachwerk von Wohnhaus und Stall zerstört.

28 Johannes Opper (9)
Ziegel von der Scheune ab.

22 Gemeindehaus (10)
Das Dachwerk ist kaputt, eine Seitenwand abgebrochen.

26 Heinrich Ritting (11)
An der Scheune ist das ganze Dachwerk zerstört, der Giebel hat sich verzogen, die Kornfrucht ist fortgeweht.

4 Johann Jost Dörfler (12)
Das Dach am Wohnhaus beschädigt, die Fenster demoliert.

6 Johannes Kirschner (13)
Das ganze Dach und das oberste Stockwerk vom Haus zerstört.





8 Wiegand Kurtz (14)
Das ganze Dachwerk vom Haus abgerissen, die Fenster zerstört. Desgleichen fehlt das Dach der Stallung und es ist die Scheune ganz zusammengestürzt, Korn und Weizen fortgeweht.

7 George Theiß und Witwe H. Homberger (15)
Das Dachwerk ist ab, das obere Stockwerk gänzlich zerstört.

7 ½ Scherer (16)
Das Dachwerk der Wohnung stark beschädigt.

9 Heinrich Kohl II (17)
Die Stallung stark beschädigt.

10 Johannes Scheibeler, Bürgermeister (18)
Die Wohnung ist aus dem Lothe, eine Wand aus den Zapfen, Scheune und Stall sind ohne Dach, der zweite Stock der Scheune stark beschädigt. Vom Boden sind Korn und Weizen fortgeweht.

13 Johann Jost Tobin (19)
Die Wohnung ohne Dach, der Stall umgeworfen.

12 Priester (20)
Der gleiche Schaden wie bei Tobin.

11 Christoph Stehl (21)
Das Dach am Wohnhaus beschädigt, am Schweinestall fehlt das Dach, Gefache sind eingedrückt.

11 ½ Heinrich Bange (22)
Die Wohnung ist ohne Dach, das zweite Stockwerk abgerissen.

7 Heinrich Homberger (23)
Das Dachwerk ist stark beschädigt.

17 Konrad Schneider (24)
Am Wohnhaus ist der Dachstuhl zerstört, mehrere Balken sind gebrochen.

14 Kirschner (25)
Das Dachwerk der Wohnung ist stark beschädigt.

14 ½ Johann Jost Schaacke (26)
Das Dachwerk der Wohnung ist stark beschädigt.

15 Jakob Kitz (27)
Das Dachwerk der Wohnung ist stark beschädigt, zusätzlich auch das Dach der Scheune. Die Giebelwand der Scheune ist verzogen, der Stall ganz niedergeworfen.

16 Johannes Homberger (28)
Das Dachwerk der Wohnung ist stark beschädigt.

20 Heinrich Damm (29)
Das Dachwerk der Wohnung ist stark beschädigt. Der Weizen ist fortgeweht.

21 Jakob Kappes (30)
Das Dach an Wohnhaus und Scheune ist beschädigt.

19 Hirtenhaus (31)
Das Dachwerk hat starken Schaden erlitten.

3 Heinrich Rockensüß (32)
Der Musikant gibt später an, dass ein Bass, ein Horn und eine Violine mit Bogen verlustig sind.

In späteren Aufstellungen erscheinen noch weitere Namen, die Angaben über erlittene Schäden vorlegen. Aufgeführt sind verlorene Schweine, Federvieh, Bienenstöcke, Kleidung, Möbelstücke, Hausratsgegenstände, Obstbäume, Früchte und Gemüse.

Menschen sind in dem großen Sturm nicht umgekommen. Personenschäden hat es jedoch gegeben. Erwähnt wird, das in dem Orkan die Frau Bange gegen einen Baum geworfen wurde, und ihr dabei der rechte Arm zerbrach. Landwirt J. Ritter aus Sebbeterode, der sich während des Sturms in Schönau aufhielt, berichtet, dass er mit seinem Gespann (zwei Pferde mit Wagen) 25 Schritt weit weg bis auf den Schulhof geschleudert wurde. Der Fuhrmann und ein Pferd wurde verletzt und mussten ärztlich behandelt werden.



Im Jahr 1858 wurde eine landesweite Befragung zur Struktur der kurhessischen Gemeinden durchgeführt. Bei Schönau steht unter dem Untertitel Wetter:
Eine Ausnahme machte aber das mit Hagel und einem heftigen Sturmwinde verbundenen Gewitter am 25.8.1855, welches Dächer abdeckte, Bäume –darunter starke Eichen- abbrach und entwurzelte- und überhaupt nie erlebte Zerstörungen anrichtete, deren Folgen zum Theil jetzt noch fühlbar sind.“

Auch in der Pfarrchronik von Sebbeterode ist der Ablauf des gewaltigen Unwetters in Schönau eingehend beschrieben, das die Einwohner dieser Gemeinde so tiefgreifend berührt hat.

In einem Zeitungsbericht vom 4. September 1913 ist zu lesen:
„Schönau, 25. August 1913
Unsere Gemeinde hat heute gefeiert, trotzdem ringsum im alten Amt Schönstein mit doppeltem Eifer gearbeitet wurde. Uns hielt die dringendste Arbeit nicht davon ab, nach altem Recht den Schönauer Tag mit Gottesdienst und Schulfreizeit und voller Sonntagsstille zu halten. Vor 58 Jahren, am 25. August 1855, …… (Beschreibung…… . Damals ist es von Gemeinde und Amts wegen geordnet worden, dass der 25. August ein Feiertag mit Gottesdienst sein und bleiben solle, niemand wagt es heute, an dieser Ordnung zu rühren
. So kam es, dass heute bei uns die Glocken festlich läuten, während ringsum die Sensen klangen.“

Ein Gedenktag ist der 25. August heute nicht mehr, aber das außergewöhnliche Ereignis sollte in Schönau nicht ganz vergessen werden. Dieser Bericht soll dazu dienen, die Erinnerung an den Schönauer Tag wachzuhalten.

Anhang:

Die Häuser von damals und heute.

Hausnummer Straßenname Familienname
in 1855 heute heute
(1) 1 ½ Königsberger Straße 8 Kohl
(2) 1 (Abriss) Haingasse Garten Steinbr./Ide
(3) 1 ¼ (Abriss) Haingasse Garten Steinbr. Ide
(4) 32 Königsberger Straße 5 Siebert
(5) 33, 33 ½ Königsberger Straße Stall Erich Riebeling
(6) 31 Königsberger Straße rechts von E. Riebeling
(7) 2 Königsberger Straße 6 Riebeling
(8) 30 (Abriss) Königsberger Straße 3 neu Subayi-Kröger / Schmidt
(9) 28 Schlossbergstraße 2 Bätz
(10) 22 (Abriss) Zum Gilsatal 3 „Sieberts Wiese“
(11) 26 Schlossbergstraße 5 Hund
(12) 4 Königsberger Straße 4 Jandrey – Schreiber
(13) 6 (Abriss) Kirschbrunnen/Haingasse ehem. Bernhard Siebert
(14) 8 Haingasse 2 Kitz
(15) 7 (Abriss) Haingasse neu Homberger
(16) 7 ½ (?) Haingasse neu Homberger
(17) 9 Kirschbrunnen 3 Dingel
(18) 10 Kirschbrunnen 4 Ritting / Grebing
(19) 13 Kirschbrunnen 4 Stallung HH. Ritting
(20) 12 Zum Gilsatal 2 Kuntz
(21) 11 Kirschbrunnen 2 Köhler
(22) 11 ½ Kirschbrunnen 2 Köhler
(23) 7 (Abriss) Zum Gilsatal Scheune Gössel/Schacke
(24) 17 (Abriss) Königsberger Straße unterh. Scheune Knöppel
(25) 14 Königsberger Straße 2 Parlitz
(26) 14 1 /2 Königsberger Straße 2 Abriss, Garage Ritting
(27) 15 Kirschbrunnen 1 Strüning
(28) 16 Abriss Königsberger Straße Garten Strüning
(29) 20 Königsberger Straße Hof Knöppel / Art
(30) 21 Königsberger Straße 1 „Kappes“ / Jakobec
(31) 19 Zum Gilsatal Merten
(32) 3 Schlossbergstraße 7 „Schusters“



Verfasser: Manfred Hund, April 2001, überarbeitet 2005
Quellen: * Hans Friauf, Hochland Mitteilungsblatt 35/93
* Hessisches Staatsarchiv Marburg
* Privatunterlagen